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Erinnerungen

Es ist unglaublich wie in der Adventszeit die Erinnerungen anklopfen. Geschichten und Erlebnisse die schon längst vergangen, doch so präsent als wäre es gestern gewesen. In meinem Fall ist der Auslöser wahrscheinlich ein simpler Katalog eines britischen Unternehmens, den ich etwa 4–6-mal im Jahr erhalte. Zuletzt stets Ende November.  Also so passiert vor ein paar Tagen. Darin enthalten nebst Wind- & Wetterkleider, Dekorationen für den echten englischen Garten und Spirituosen, sind ebenso Butter-Salz Caramels, Scones und Kuchen in bunten Nostalgie Dosen abgebildet. 

Genau diese Kuchen mit getrockneten Früchten, Mehrschichtig mit Marzipan und weiss nicht was noch allem...lassen die Bilder in meinem Kopf Revuepassieren. Und so nehme ich dich heute mit, in ein kleines unattraktives Reihenhaus, mit einer winzigen Küche, die mit 3 Personen ausgefüllt zum Punkt des Geschehens wird. Mein Bruder im 2. oder 3. Lehrjahr zum Koch, also etwa 18 Jahre jung, hat sich zum Ziel gesetzt an dieser Weihnacht was ganz Besonderes zu zaubern. Die Essen der Vorjahre, die aus Zutaten bestanden, die wir zum Teil nur aus dem TV kannten und dessen Zubereitungsleckereien er bei seinem Ausbilder (einem Nobel Restaurant) günstiger erstehen konnte, sollte es bei weitem übertreffen. So schleppte er in diesem besagten Jahr in grossen Taschen ein besonders Mehl, viele getrocknete Früchte, Zucker und sonst noch unzählige Dinge an. So lieh er sich auch eine Knetmaschine, sowie einige Schüsseln und Pfannen. Mamas Küche hatte wohl vorher noch nie so viele Zutaten gesehen und es wurde noch enger als Eng. Hahaha Die Ablage reichte nicht und so wurde im Keller eine Zwischendepot errichtet. Jeden Tag, ich glaube über beinahe 14 Tage vor Weihnachten, schlug mein Bruder bei meinen Eltern in dem kleinen Raum auf. Rührte und wirkte wie ein Besessener seiner eigenen Idee, um dann mit den Worten: "Alles stehen lassen, nichts anfassen" wieder zu verschwinden. Zur Arbeit, zur Freundin oder um sich mit Kumpels zu treffen. Egal wann ich bei meinen Eltern vorbei schaute, irgendwo stand immer ein Ding, das wuchs und wuchs. Ebenso roch es immer nach Süssigkeiten...Zu Beginn empfand ich es als lecker, mit der Zeit etwas aufdringlich und zum Schluss gehörte der Geruch in den Raum, wie Milch zum Kühlschrank. Was soll ich sagen - am Weihnachtsabend, präsentierte er uns mit roten Wangen und seine Locken wild durcheinander auf einem silbernen Tablett, dass so schwer, dass er es kaum halten konnte, einen Englischen Schichtenkuchen in Kuppelform. Gross war dieser Kuchenberg und mit einer glänzenden Schicht überzogen.

Heute weiss ich, dass es eine wahre Kunst ist die Schokolade, also den Guss so hinzubekommen. So auch das selbst gemachte Marzipan nebst der Nusscreme im Innern. Er schnitt hochfeierlich den Kuchen an und servierte jedem eine dünne Tranche. Mehr konnte man auch an einem Tag nicht essen, so gehaltvoll war dieses Stück. Dazu servierte er Tee und für die Kaffeetrinker ein Tässchen flüssige Bohnen: "Rotwein passt auch dazu." erklärte er mit dem Blick zu Papa, der kurz zuvor seinen üblichen Weihnachtskoller in einem lauten Wortgewitter entladen hatte. Wir kannten das, irgendwas war immer der Auslöser um seine Traurigkeit und Wut über sein Leben, die Vermissten, die ihn verlassen oder die Politiker, das Weltgeschehen loszuwerden. Nun sass er auch wieder am Tisch. Wie ein Bär, der sich beruhigt und nun auf den Honigtopf wartet. Ich glaubte etwas Stolz für seinen Sohn in seinem Gesicht sehen zu können. Gesagt hätte er es (leider) nie. Mein Bruder strahlte und mit den ersten Bissen und den folgenden Komplimenten der Weiblichen Fraktion entflog die Anspannung der letzten Tage in seinem Antlitz. Er sah zum Knuddeln aus – hätte er jedoch nicht gewollt.

 

Was soll ich sagen - der Kuchen begleitete meine Eltern und jeden Besuch der kommenden Tage, ach was sag ich - die Nachbarn und Arbeitskollegen kamen auch in den Genuss, der schmalen Kuchenstreifen die so gehaltvoll, dass man keinen 2. Nachschlag verlangte. Seither habe ich nie wieder so etwas in der Art gegessen. Und die Kuchen in meinem Katalog von der Britischen Insel stehen dem in vielem nach. Ach was sag ich - Sind Lichtjahre davon entfernt. Und doch reicht allein die Beschreibung English Plumcake und zack sind die Bilder der kleinen Küche und vor allem mein geliebter Bruder wieder präsent. Ich glaube, das wird bis zu meinem Lebensende so sein. Die Weihnachten mit den vielen süssen Schichten...so unterschiedlich und doch so passend und stimmig. Am Ende eine genüsslich Einheit, so wie man sich sein Leben wünscht. Ja genau - Am Ende entsteht aus diesem Mehrschichten Werk ein Weihnachtsbild mit Symbolik. So geht es mir grad im Moment. 

 

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